Die subtile Macht der Typografie

Die subtile Macht der Typografie

by

Sandra Märker

Schrift ist allgegenwärtig. Ob bewusst oder unbewusst, wir alle konsumieren Typografie tagtäglich in vielfältigster Form. Dennoch wird der psychologische Einfluss, den sie auf unsere Wahrnehmung hat, immer noch gnadenlos unterschätzt. Dabei lohnt sich eine sorgfältige Schriftgestaltung nicht nur im Layout und Packaging Design, sondern auch im Branding und Corporate Design. Wir erklären kurz und bündig, warum Typografie so essentiell für ein gelungenes Storytelling ist und wie man sie zielgerichtet einsetzt.

Font matters: Schrift ist nicht gleich Schrift

Ob auf dem Handydisplay, im Straßenverkehr oder im Supermarkt – täglich flimmern abertausende Buchstaben über unsere Netzhaut. Schrift zeigt uns den Weg, übermittelt Daten und Fakten. Dass ihre Gestaltung die Interpretation der empfangenen Informationen nachhaltig beeinflusst, bemerken wir oft kaum. Denn Typografie weckt unmittelbar Bilder, Emotionen und Assoziationen, noch bevor der eigentliche Inhalt erfasst werden kann. Ähnlich wie Optik und Kleidung den ersten Eindruck bestimmen, den eine Person auf uns macht, so „kleidet“ Typografie einen Text und kann dessen Botschaft unterstreichen, modulieren, oder gar manipulieren. Und genau wie Menschen sind auch Fonts grundverschieden: Während uns die runden, offenen Formen einer humanistischen Serifenlosen wie der Gill Sans freundlich und warm erscheinen, so empfinden wir die konstruierten, geschlossenen Letter einer Univers oder Futura als kühl, technisch und sachlich. Aber nicht nur der Schriftcharakter spielt eine wesentliche Rolle. Durch neue, digitale Anwendungen ist der funktionale Anspruch an Typografie in den letzten Jahren extrem gestiegen. Ob Smartwatch, Tablet oder digitales Billboard – moderne Screenfonts müssen in einer Vielzahl von Umgebungen funktionieren. Klare, einfache Schriftzeichen und ausgewogenen Strichstärken haben sich hier bewährt. Und nicht zuletzt spielen auch aktuelle Typografie-Trends eine Rolle. Nachdem lange Zeit neutrale, cleane Serifenlosen wie die Helvetica dominierten, setzen Brands seit einigen Jahren wieder vermehrt auf geschwungene, humanistische Schriften. In jedem Fall ist die typografische Landschaft heute vielseitiger denn je.

Typografie als Branding Tool

Zurecht genießt Typografie auch im Brand- und Corporate Design einen hohen Stellenwert. Schrift ist neben Farben und Bildsprache der wichtigste Identitätsstifter im Branding. Gerade in der Werbung machen sich viele Marken Typografie als subtile, aber äußerst effiziente Waffe zu nutze. Durch bewusste Schriftgestaltung werden Produkte mit Emotionen und Werten aufgeladen, die die Corporate Identity und das Markenimage transportieren. Zudem hat jede Branche ihre typografischen Gepflogenheiten, die es zu beachten gilt. Während Biomarken oft organisch wirkende Schriften im Handmade-Look verwenden, greifen moderne Tech-Brands gern auf cleane, geometrische Serifenlose zurück. Eine unpassende Schrift kann leicht falsche Assoziationen wecken und so das Vertrauen in die Marke schwächen. Eine gut gewählte Font untermauert hingegen die Glaubwürdigkeit und Professionalität einer Brand. Zudem garantiert eine funktionierende Typografie nicht nur eine einheitliche Nutzererfahrung, sie erhöht auch den Wiedererkennungswert. Im Idealfall wird die Hausschrift sogar zum eindeutigen Markenzeichen – so geschehen bei der Zeitschrift „Vogue“, deren Typografie bis heute direkt mit Fashion und Style assoziiert wird.

Every type tells a story

Schrift hat das Potenzial, Wörtern eine Stimme zu verleihen und ganze Geschichten zu erzählen: Sie wird zum „Storyteller“. Beim Lesen erfasst unserer Verstand die reine Bedeutung der Worte, während die Typografie längst mit unserem Unterbewusstsein kommuniziert, ohne dass wir es überhaupt bemerken. So erzählt uns die kurvige, beschwingte Typografie des Coca-Cola-Schriftzugs Geschichten von langen, heißen Sommertagen aus dem Amerika der 50er Jahre, die einem klassischen James-Dean-Film entsprungen sein könnten. Ist das typografische Storytelling erfolgreich, dann wird das geschriebene Wort nicht mehr nur gesehen, sondern multisensorisch wahrgenommen: Wir können Typografie auch fühlen, riechen oder schmecken. So wurde in diversen Versuchen bereits nachgewiesen, dass wir den Geschmack von Lebensmitteln anders beurteilen, wenn uns die runde, weiche Schrift auf der Verpackung glauben lässt, dass eine Schokolade direkt auf der Zunge zergeht oder eine edle Font in der Speisekarte suggeriert, dass die Speisen eines Restaurants besonders hochwertig sind.
Typografie hat Charakter und macht Identität sichtbar. Dennoch schöpfen nur wenige Brands ihr enormes Potenzial voll aus und verschenken dadurch viel Impact. Für ein authentisches Storytelling lohnt es sich, der Schriftgestaltung einen zweiten Blick zu schenken, damit der visuelle erste Eindruck perfekt gelingt.
Sandra Märker

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